Unternehmerisches Denken als Antwort auf die Fragen der Zukunft

wie man studierenden gründerspirit und resilienz näher bringt -
Michael Flad und Christoph Nelson Makram von Gründes!/ Hochschule Esslingen im Interview

 
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Prof. Dr. Michael Flad ist der Leiter von GründES! - Center for Entrepreneurship an der Hochschule Esslingen; Christoph Nelson Makram ist Start-Up Coach bei GründES!

GründES!, das Center for Entrepreneurship der Hochschule Esslingen ist zentrale Anlaufstelle für alle Fragen rund um die Themen Unternehmertum und Innovation. Wir glauben fest daran, dass das Profil der Hochschule Esslingen mit Fokus auf Mensch, Technik und Umwelt eine einzigartige Möglichkeit bietet, die großen Herausforderungen unserer Zeit unternehmerisch zu lösen. GründES! will unternehmerisch und verantwortlich denkende und handelnde Persönlichkeiten befähigen, ihr unternehmerisches Potential zu realisieren. Chancenorientierte Start-ups werden gefördert, die mit technischen Innovationen einen wichtigen Beitrag für Umwelt und Gesellschaft leisten.

 

Lieber Michael, lieber Chris, eure Empfehlung an Startups wie an Gründungsinteressierte lautet: Nutzt die Krise, um in euch zu gehen, zu reflektieren und zu fragen: Warum will ich das machen? Und was kann mein Impact sein auf dieser Welt? Wie kann man solche Gedanken wirklich sinnvoll anstellen und praktikabel zum einem guten Ergebnis führen?

Chris Nelson-Makram Ich fange bei mir selbst an. Ich nutze die Zeit, die Möglichkeit, um mich mit mir selbst zu beschäftigen. Um zu diesem "Why?" zu gelangen, gibt es viele unterschiedliche Ansätze. Was ich tatsächlich immer vorschlage ist sich zu fragen: Was ist es eigentlich, das mir Spaß macht, schon immer Spaß gemacht hat? Das gibt einen kleinen Hinweis darauf, was einem gut liegt, wo Stärken sein könnten. Als nächstes folgt die Frage: Was kann ich mit diesen Stärken tun? Wie möchte ich, dass die Welt aussieht, welchen Footprint möchte ich hinterlassen? Ich glaube, die Kombination aus "was kann ich gut?" und "was ist mir wichtig?" führt da am Besten zum Ziel.

Michael Flad Dazu will ich ergänzen: Es kommt darauf an, ob wir von einem jungen Menschen, z.B. von Studierenden sprechen oder von berufserfahrenen Menschen. Weil ein junger Mensch ja vielleicht jetzt zum ersten Mal in seinem Berufsleben eine Krise erlebt hat oder vor einer vergleichbaren Herausforderung stand. Im Studium läuft es ja meistens immer in behüteten Verhältnissen ab. Wenn man allerdings schon im Beruf war, hat man einige Klippen umschifft, hat eine gewisse Exposure nach außen gehabt und Herausforderungen der Welt "da draußen" erlebt. Und da denke ich mal da fällt diese Selbstreflektion leichter, in der Situation ist es einfacher nach dem Warum zu fragen.

 

Weil dann nicht mehr die Überwältigung dominiert, wenn mal eine Krise hereinbricht?

MF Genau. Man hat einfach schon bisschen Erfahrungen gesammelt, einen größeren Erfahrungshorizont aufgebaut und eine größere Werkzeugkiste, was den Umgang mit Problemen angeht. Dann kommt man vielleicht auch schneller zu dem Gedanken "warum mach ich denn das überhaupt?" Eine entscheidende Frage - für mich persönlich aber auch für die Gründung. Und wenn wir hier von den Personen reden, die einen größeren Erfahrungsschatz haben, dann wollen diese plötzlich mehr Dinge auf der Welt bewegen, als beispielsweise beim im Konzern hinten rechts neben dem Kopierer zu sitzen oder Papiere ad acta zu legen. Das ist eine Perspektive. Oder ich bin Geschäftsführer gewesen oder leitender Angestellte und habe meine Gedanken gehabt; jetzt sehe ich vielleicht eine Marktopportunität und möchte dann gerne die Prozesse so verbessern, dass ich auch einen, wie Chris gesagt hat Footprint hinterlasse, also einen sozialökonomischen Impact. Bei den Jüngeren hingegen, der Generation Z, steht potentiell eine andere Herangehensweise im Vordergrund: Was will ich aus meinem Leben machen.  Anstelle eines äußeren "du musst jetzt Karriere machen" stehen eher, wie Chris sagte Fragen wie "was macht mir Spaß, was kann ich?" 

 

Das bedeutet, als Auftrag an junge Menschen: Geht raus in die Welt, experimentiert und findet heraus, was Spaß macht und danach das Gelernte, Erfahrene zu reflektieren. Ergo: Was mache ich in Zukunft mit dem, was ich kann? 

MF Das funktioniert aber auch im Studium. Dieses Rausgehen, Exposure entwickeln, Erfahrungen sammeln. Man kann auch sagen: Die Komfortzone verlassen.

CNM Ich glaube, dass gerade die Erfahrungen in dieser Stretch-Zone, also der Zone außerhalb der Komfortzone, genau diese Reibungspunkte verursachen, die einem dabei helfen zu reflektieren. Da merkt jede:r sehr praktisch: Was ist mir wichtig, und wo möchte ich Dinge anders machen? Und egal, ob diese Erfahrung in einem studentischen Projekt gemacht wird oder in einem Accelerator-Programm, wie Mobility Pioneers, dem deutsch-israelischen Accelerator an der Hochschule Esslingen. Wenn sich Teilnehmende zusätzlich noch mit einer komplett anderen Kultur auseinandersetzen müssen – bei Mobility Pioneers waren das die israelischen Studenten – gibt es natürlich Reibungspunkte und wo Reibung ist, gibt es Wärme und daraus kann Gutes entstehen.

 

Ist für die Reflektion, das Finden des "Why" die Krise gar nicht notwendig ist, sondern vielmehr die eigene Initiative?

MF Das kann ich unterstreichen. Eine Krise ist nur ein Ansatzpunkt, um Komfortzonen zu verlassen

CNM Ich möchte ergänzen: wer sich bereits vorher Gedanken gemacht hat und dies vielleicht sogar angeleitet getan hat – egal, ob mit einem Coach oder bei einem Seminar z.B. an der Hochschule im Bereich Persönlichkeitsentwicklung – kann gewisse Dinge vielleicht nochmal zielgerichteter angehen, weil bereits ein gewisses Mindset vorhanden ist. Aber die praktische Erfahrungen kann nichts ersetzen.

 

Und wenn die Krise (egal welche) kommt? Was tut man damit? Wie geht man aus eurer Sicht und aus unternehmerischer Sicher am besten mit Krisen um? 

CNM Ich bin Optimist. Ich sehe das Glas immer halb voll. Meine Oma sagte immer: "Wenn eine Tür zugeht, gehen zwei andere auf." Und darum geht es aus meiner Sicht: nicht den geschlossenen Türen hinterherweinen, sondern den neuen Status Quo akzeptieren und zulassen, neue Chancen zu entdecken.

MF Durch eine Krise lernt man sich viel besser selbst kennen und kann sich dann auch noch mal auf seine Stärken und Schwächen besinnen. Man muss auch anmerken, dass es hierbei verschiedene Typen gibt. Die einen leiden unter Krise, die anderen wachsen daran, und es ist unsere Aufgabe, beide aufzufangen. Das bedeutet, den einen dabei zu helfen, daran zu wachsen und Chancen zu erkennen und wahrzunehmen und den anderen eben die vielen möglichen Wege aus der Krise aufzuzeigen sowie nützliche Tools an die Hand zu geben.

 

Was sind solche Tools, die sich in eurer Erfahrung bewährt haben?

CNM Für mich gibt's sehr viele mögliche Ansätze aus dem systemischen Coaching – das hängt natürlich davon ab, wer da ankommt. Was mir stark geholfen hat, war ein Persönlichkeits-Test, bei dem es darum geht: Was treibt mich im Tiefsten wirklich an? In meinem Denken und Handeln? Das war für mich ein Punkt, wo ich angefangen habe, mich ganz stark nach den drei Themen, die mich am meisten antreiben auszurichten. Bei mir persönlich ist es ersten das Thema Freiheit/ Kreativität/ Analyse, zweitens das mit Menschen arbeiten und drittens mit meinem Handeln einen „Impact“ zu haben. Deshalb bin ich heute an der Hochschule Esslingen, weil ich hier alles vereinen kann. Dieses Wissen und die aktuelle Situation immer wieder damit abzugleichen ist für mich persönlich sehr wichtig und für meine Reflexion sehr zielführend. 

MF Wir zeigen auch gerne Vorbilder, beispielsweise bei den Gründertalks. Das ist genau das, was wir natürlich auch bringen wollen - Rollenvorbilder, denn daran kann man sich ausrichten. Man kann sich auch daran reiben, positiv wie negativ. Zudem ist es ein großer Schritt nach vorne, wenn man gesehen hat, wie es jemand geschafft hat. Wenn wir von der persönlichen Sicht auf die unternehmerische Sichtweise wechseln, kommen dann noch die unterschiedlichen Innovationsprozesse, Geschäftsmodelltemplates, etc. dazu. 

  

Jetzt zu euch: Warum treibt ihr das Thema Entrepreneurship an der Hochschule Esslingen mit GründES! voran? Ihr habt in unserem Vorgespräch gesagt, dass Gründertum und -spirit der beste Lösungsweg für die großen Probleme unserer Zeit und der Zukunft seien - wie ist das gemeint? 

MF Für mich zählen zu diesem "Gründerspirit" Innovationsfreude, Eigeninitiative, Wagemut, Beharrlichkeit, Anpassungsfähigkeit und natürlich auch die lösungsorientierte Herangehensweise. Wer mit diesen fünf Tugenden ausgestattet ist, der ist schon mal weiter auf dem Weg, die Welt zu bewegen und auch zu verbessern. Über unsere Start-ups wollen wir langfristig Arbeitsplätze entstehen lassen. Das ist insbesondere möglich, wenn man einen sozioökonomischen Mehrwert schafft.  

CNM Ich glaube, es geht dabei auch ganz stark darum, Mut zu haben und Verantwortung zu übernehmen. Das schwingt für mich bei dem Wort "Wagemut" mit. Unternehmerisch denken und handeln bedeutet eben auch, Aufgaben zu übernehmen, von denen ich weiß, dass sie nicht angenehm sind. Es heißt, Entscheidungen treffen müssen, für die man auch mal eine abkriegt. Egal, ob intern oder von Kunden oder Investoren. Aber das auszuhalten bedeutet, sich der Verantwortung zu stellen. Ich glaube, da sind wir bei dem, was das Profil der Hochschule Esslingen bietet, sehr gut aufgestellt. Wir haben hier alles, was es braucht, um die sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit unternehmerisch, vielleicht auch mit Technologie zu lösen. Wir haben Studiengänge der sozialen Arbeit, die das Thema "Wie geht eigentlich der Mensch mit den Neuerungen um?" abdecken können. Wir haben Gebäude- und Umwelttechnik. Wir haben Biotechnologen, die sich, die sich um diese Umweltaspekte kümmern können. Wir haben die Maschinenbauer, wir haben die ITler. Es geht für uns also auch darum, die Verbindungen schaffen, dass da über die verschiedenen Disziplinen hinweg zusammen gearbeitet wird. Wenn wir es schaffen, dieses Potenzial zu heben dann haben wir viele sehr gute Lösungen für die Probleme da draußen.

 

Ist diese Transdisziplinarität etwas, was alle Studierenden mitbringen oder ist es vielmehr eure Aufgabe, das "einzuimpfen"?

MF Das will ich mal die Gießkannen- Metapher verwenden. Wenn man ein Feld hat und über alle Samen mit der Gießkanne drübergeht, dann springen die meisten an - manche natürlich auch nicht, aber es ist einfach ein Angebot, was wir machen wollen. Wir müssen eine breite Basis schaffen, um möglichst viele Leute anzusprechen. Diejenige, die darauf ansprechen, wollen wir stark weiterentwickeln. Ich sehe, dass die heutigen Studierenden dafür auch durchaus offen sind. 

CNM Ich glaube, es gibt Leute, die haben da aus intrinsische Motivation mehr Interesse daran und andere weniger; das Gras wächst nun mal nicht schneller, wenn man daran zieht. Deshalb können wir immer nur den Boden bereiten, damit es gut wächst. Es ist unser Job, dass wir die Rahmenbedingungen schaffen, damit jeder, der will, auch wirklich kann und die Unterstützung bekommt.

MF Die Herausforderung für uns besteht darin, diese breite Basis zu schaffen – analog des Breitensports. Ich muss im Breitensport viele Leute begeistern, damit es in der Spitze eine Bundesliga geben kann. Als wir in die  Vorlesungen im Orientierungssemester unsere Projekte vorgestellt haben, konnten das viele nicht verstehen. Da kamen Fragen wie: "Was wollen die im ersten Semester gründen?. Für mich ging es dabei aber nicht darum, direkt etwas zu gründen, sondern es geht darum, Themen wie Innovation, Kreativität, Team, Prozess, etc. anzusprechen und Interesse zu wecken.

 

Versucht ihr auf diesem Wege auch, den Fokus ein bisschen weg von der Technologie und hin zum Prozess zu lenken? Viele bedeutende Innovationen sind ja nicht unbedingt technologischer Art, sondern vielmehr Nutzeninnovationen, also eine Neukombination bestehender Technologien mit neu geschaffenem Nutzen für die Anwender. 

CNM Ich würde den Bogen sogar noch ein Stück weiter spannen. Deutschland war schon immer irgendwie stark im Bereich soziale Innovation - ob das die bismarcksche Rente oder die soziale Marktwirtschaft war. Viele der technischen Themen sind aktuell besetzt. Deutschland kann aus meiner Sicht einen Mehrwert bieten in der Fragestellung "wie kann ich Technologien, Innovationen sozialverträglich machen". Familienunternehmen und Inhabergeführte Unternehmen, der typische deutsche Mittelstand, haben hier eine echte Vorreiterrolle.

MF Zum Stichwort der sozialen Verantwortung: In der Krise zeigt sich, dass der deutsche Arbeitsmarkt nicht nur sozialverträglicher, sondern auch resilienter ist als beispielsweise das "amerikanische Modell", das eher kurzfristig auf Shareholder Value ausgerichtet ist. Das "deutsche Modell" ist hingegen eher auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit im sozialen, ökologischen und vor Allem auch im wirtschaftlichen Sinne ausgelegt. Daraus ergibt sich auch eine Verantwortung den Mitarbeitern gegenüber. 

 

Um das Thema der Krise abzuschließen: Habt ihr noch einen weiteren "Geheimtipp" für den Umgang mit Krisen?

CNM In den letzten Wochen und Monaten mussten wir alle so viele alltägliche Muster anpassen. Und wenn das doch im Alltag geht und sich unser Denken verändert und unser Blick auf die Welt und das, was wir täglich tun, dann ist es doch in anderen Bereichen, wie der Wirtschaft, drei Mal möglich. Plötzlich geht remote, plötzlich geht digitales Arbeiten, was zuvor undenkbar war. Wir müssen dieses Momentum nutzen um zu fragen: "Was müssen und können wir in Zukunft anders machen?"

 MF Was ich mitnehme ist das schnelle Lernen. Wir mussten ja jetzt von null auf hundert Digitalisierung lernen, in jedem Bereich. Dazu die vermehrte Kommunikation: Ich habe noch nie so viel mit Kollegen gesprochen, auch von anderen Hochschulen. Diese Errungenschaften und Good Practices, die wir gelernt haben, sollten wir in die Post- Corona- Zeit mitnehmen.

 

 

Danke für das Interview,

Prof. Dr. Michael Flad

Leiter GründES!, Professor Finance & Entrepreneurship

und

Christoph Nelson Makram

Start-up Coach

GründES! 
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Das Interview führte:

Marius Biedermann

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