Kleine Unternehmen: durch die Corona-Krise stark getroffen, rüsten sie sich jetzt für die Zukunft

„Es sind gerade die kleinen Unternehmen die auf Unterstützung bei den vielfältigen Herausforderungen der heutigen Zeit angewiesen sind", so Dr. Tobias Adamczyk, Technologietransfermanager der IHK Reutlingen.

 
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Adamczyk ist studierter Chemiker und war von der Leitung eines Analytiklabors bis zur Steuerung internationaler Projektteams in der IT tätig und kennt daher etliche der auftretenden Probleme.

Darüber hinaus ist Adamczyk Koordinator der Technologietransfermanager und -managerinnen in Baden-Württemberg, kurz TTM-BW, welche aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und aus Landesmitteln gefördert werden. Pro Jahr führen wir 750 Beratungen durch und initiieren über 200 Kooperationsprojekte im Bereich Forschung, Entwicklung und Innovation. Flankiert wird dies durch passende Fördermittel und Unterstützung bei gewerblichen Schutzrechten. Als zentrale Anlaufstelle ist seit August 2020 die gemeinsame Homepage unter www.ttm-bw.de erreichbar.

 

Herr Adamczyk, im Zuge der Corona- Krise haben viele Unternehmen im Rekordtempo Digitalisierungs- und Innovationsprojekte angestoßen und auch durchgezogen. War dieser "Schock" Auslöser für wichtige Veränderungen?

 Absolut. Viele Firmen waren in den vergangenen Jahren mit dem Tagesgeschäft mehr als ausgelastet. Die ersten Umsatzrückgänge konnten wir ab 2019 beobachten. Dies hatte als positiven Nebeneffekt, dass die Unternehmen wieder etwas Luft hatten um sich mit Themen wie gewerblichen Schutzrechten (Patente), Kooperationen und Fördermittel im Bereich FuE zu beschäftigen. Corona hat das noch verstärkt. Stark aufgefallen ist, dass sich mittelständische Unternehmen wieder mehr im Bereich Forschung, Entwicklung und Produktweiterentwicklung ausgerichtet haben, was meines Erachtens der richtige Weg ist um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein. Die Politik ist sehr bemüht das mit Fördermitteln zu unterstützen. Ich empfehle Unternehmen immer, über Kooperationen nachzudenken. In Baden-Württemberg sind wir im Forschungsbereich mit unseren rund 1.100 Hochschulen, Universitäten und Forschungsinstituten als Kooperationspartner für FuE Projekte auch sehr gut aufgestellt. 

Corona war natürlich ein Schock. Aber auch Chance: Remote Working, Mobile Office, Digitalisierung von Prozessen und Strukturen – viele Firmen wurden ins digitale Zeitalter katapultiert. Aber nicht nur das. Viele Betriebe nutzten die Zeit, um Ihre Ideen aus der Schublade zu holen. Viele starten jetzt mit innovativen Produkten neu durch. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: Jeder Euro, den man in Fortschritt investiert, macht sich hinterher auch bezahlt. 

Dies gilt natürlich nur, wenn die Nachfrage jetzt wieder deutlich anzieht und die Firmen die jetzige Ausnahmesituation überstehen.

  

Trotz allem: Wenn man sich ansieht, wie unglaublich viele Fördermittel es auf Landesebene, auf Bundesebene und europaweit gibt, dann bekommt man den Eindruck, dass Unternehmen geradezu gezwungen werden müssen, sich mit innovativen Technologien und F&E zu beschäftigen.

Man muss hier zwei Gruppen unterscheiden. Zum einen gibt es Kredite oder Darlehen, die mit einem Zinssatz versehen sind, der eventuell interessant ist, bei einigen Förderinstrumenten gibt es zusätzlich Tilgungsaussetzung und Zuschüsse. Wenn man sich die zweite Gruppe der nicht rückzahlbaren Zulagen ansieht, dann wird die Fördermittellandschaft schon wesentlich übersichtlicher. Dazu muss das entsprechende Förderprogramm auch zur Branche und zum Projekt passen. Firmen sollten jetzt tätig werden und Innovationen anpacken. Letzten Endes geht es darum, auf dem Weltmarkt zu bestehen. Das tun unsere Unternehmen und Produkte nicht, weil sie günstig sind, sondern weil Qualität und Innovationgrad passen. 

 

Wer geht denn als Gewinner aus der Krise hervor und wie müssen wir uns aufstellen?

Die großen Gewinner aus dieser Krise, sind natürlich die Datenhändler. Diejenigen, die sich, ganz grob gesagt, mit Daten, Internet und Co. beschäftigen, sind große Gewinner. Da war Deutschland bis jetzt generell eher noch ein Schlusslicht. Wir können aber den Anschluss noch finden. Trotzdem: Am Ende muss irgendwer auch noch produzieren. Mehrere Krisen haben schon gezeigt, dass es gut ist, wenn man im eigenen Land Wertschöpfung hat. Das darf man nicht kleinreden. Man muss schauen, wie man bestimmte Wertschöpfungsketten oder Lieferketten ausrichtet, um Single Points of Failure zu vermeiden und mehr Ausfallsicherheit reinzubringen. Zur Frage der Aufstellung lässt sich sagen: Wir, als Wirtschaft, müssen dieses Momentum nutzen, um zu digitalisieren. Die aktuelle Situation hat die Digitalisierung "mit der Brechstange" gebracht und jetzt sollten wir sehen, eben diesen Schwung in geordnete Bahnen zu lenken. Das bedeutet, sauberes Change Management zu betreiben, Prozesse zu optimieren und digitalisieren und flachere Hierarchien mit mehr Agilität zu wagen. Wenn ich in diesem Kontext von Digitalisierung spreche, meine ich damit nicht nur Telefonkonferenzen über Zoom zu führen, sondern ganze Prozesse digital abzubilden. Die Unternehmen, die noch über die notwendigen liquiden Mittel verfügen, sollten die Krise als Chance nutzen. 

 

Um solche Chancen zu ergreifen, wird immer wieder die Bedeutung des Netzwerks erwähnt. Warum?

Es ist für Großunternehmen wesentlich einfacher, solche Entwicklungen selbst anzugehen. Man muss sich allerdings vor Augen führen, dass 98 Prozent unserer Unternehmen in Baden-Württemberg in der Größenklasse bis 250 Mitarbeitern liegen - das sind Betriebe, die in der Regel weder eine eigene Rechts- oder Patentabteilung haben und auch keine eigene Forschungsabteilung. Alle diese Geschichten, die so eminent wichtig sind, laufen immer on-top, in der "Freizeit" sozusagen, bei wenigen Köpfen zusammen. Um das nicht alles alleine stemmen zu müssen, sollten also insbesondere auch kleine Unternehmen die Initiative ergreifen und die Augen für Kooperationen offenhalten – egal ob aus Wirtschaft oder Wissenschaft. 

 

Nachdem wir jetzt so viel über Chancen geredet haben, könnte gerade der Eindruck entstehen, dass Krisen zumindest gelegentlich und zumindest mit Einschränkungen auch als "Wachrüttler" gesehen werden können.

 Ein Beispiel: Im Jahr 2005 wurde das Thema Breitbandausbau zum ersten Mal prominent diskutiert. 2009 und 2013 wieder. Aktuell sind wir im Jahr 2020 stehen vor einer veränderten Arbeitswelt, die zuverlässigeres und schnelleres Internet verlangt, um zu funktionieren. Trotz "müsste, sollte, könnte" ist nichts passiert. Wir hätten diesen notwendigen Weg der Veränderungen und Investitionen im Komfort der Wachstumszeiten gehen können. Ich denke, das ist generell bei Ländern, die technologisch weiterentwickelt sind, immer ein Problem. Daher habe ich das Gefühl, dass solche "Wachrüttler" leider immer mal wieder notwendig sind, um Veränderungsprozesse in die richtige Richtung anzustoßen. Aber wir machen unsere Hausaufgaben und ich bin optimistisch, dass wir in, sagen wir, 2-3 Jahren gestärkt aus dieser ganzen Krise hervorgehen können und tatsächlich auch zukunftsfähiger sind.

 

Sie haben erwähnt, dass Netzwerke in vielen KMU eher "nebenher" betrieben und gepflegt werden. Wie kann man diese Aktivität irgendwo systematisieren und professioneller betreiben?

Wir sind bei der IHK Reutlingen dafür bekannt, hier gut aufgestellt zu sein, denn wir haben inzwischen über 50 Netzwerke. Und netzwerken besteht aus meiner Sicht immer aus zwei Komponenten. Erstens braucht es natürlich gemeinsame Treffen mit spannenden Referenten und Themen. Zweitens, und wahrscheinlich mindestens genauso wichtig, sind die Gäste und deren Austausch untereinander. Denn hier gibt es die entscheidenden Gespräche, bei denen Kooperationen entstehen. Das ist der große Mehrwert. Der persönliche Austausch im Anschluss an solche Veranstaltungen macht die Sache so spannend. Die Frage, inwiefern das auch digital funktioniert, ist schwierig. Das ist etwas, wo wir mit verschiedenen Formaten experimentieren, um entsprechende Brücken zu schlagen. Ich glaube allerdings, dass das den persönlichen Kontakt nie ganz ersetzen wird.

 

 

Danke für das Interview,

Dr. Tobias Adamczyk

Technologietransfermanager
IHK Reutlingen

Tel. 07121 201 - 253
adamczyk@reutlingen.ihk.de
www.reutlingen.ihk.de

Das Interview führte:

Marius Biedermann

Sophis GmbH
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